RÜCKBLICK
[bio'nd] Insekten
Zu welchen Geschichten regen die Objekte einer naturkundlichen Sammlung an? Welche literarischen Erzählweisen inspirieren die sonst so stummen, wissenschaftlichen Exponate? Mit digitalem Einblick hinter die Kulissen des Museums für Naturkunde Berlin haben wir mit einer Schreibwerkstatt eine literarische Erkundung in die Welt der Insekten unternommen. Die Teilnehmenden der Schreibwerkstatt lernten so die Forschung, Sammlung und Arbeit im Museum für Naturkunde sowie ihre Relevanz für die Biodiversität und bioökonomische Anwendungen jenseits des Museums.

Inspiriert wurden die Schreibenden zu Beginn mit einem Impuls von Thorleif Dörfel. Als Mitarbeiter des Museums für Naturkunde Berlin hat er durch einen Einblick in seine Forschung zu Grabwespen gegeben. Am Beispiel der herausfordernden Aufgabe der Artenbenennung konnte er erkenntnisreich das Arbeiten an der Sammlung des Museums darstellen.
Schreibwerkstatt
Vor dem Hintergrund dieses Gangs hinter die Kulissen des Museums entwickelten die Teilnehmenden unter kreativer Begleitung der Schreibtrainerin Slavica Klimkowsky ihre literarischen Texte. Mit Erlaubnis der Teilnehmenden präsentieren wir folgend zwei ausgewählte Texte, die im Rahmen dieser Schreibwerkstatt entstanden sind.


1
Dark Taxa
Katrin Deibert
Ein Hautflügler, zartbesaitet. Schwebte ein, ließ sich auf dem Tisch nieder. Margo sah mich missmutig an. Sie zog an ihrer Zigarette, legte ihren Arm lässig auf die Lehne des Stuhls neben ihr. Das Insekt balancierte auf dem Rand meiner Kaffeetasse. Der Hinterleib und die Form der Augen ließen auf eine Schlupfwespe schließen. Aber welche? Das tiefe Schwarz des Corpus, erinnerte mich an eine Exavarus apiarius. Der Kopf schimmerte in einem aggressiven Smaragd.

Die Farben verschwammen vor meinen Augen. Ich hustete. Rauchringe. Margo formte perfekte Rauchringe mit den Lippen, ließ sie begleitet von kleinen „Puff Puff“ Geräuschen über den Tisch, zu meiner Tasse wandern. Die Wespe verschwand im Zigarettenrauch.

Margo wirkte mondän, und auf mich, ein bisschen beängstigend. Wenn ich sie sah, konnte ich nicht verhindern, daran zu denken, wie er mit ihr schlief. Wie sie Sex hatten. Ihre Kleidung drängte den Gedanken an Erotik jedem auf, das hatte nichts mit mir zu tun. Die engen gemusterten Stoffe, die ihre Kurven betonten, als seien sie nur Haut, oder Fell. Dazu gemacht, jede Bewegung, die Tiefe ihres Atmens, die Wärme ihres Körpers, die Eleganz ihrer Schritte zu illustrieren. Ich selbst trug immer noch die Jeans und T-Shirts meiner Studientage. Der Zeitpunkt, zu dem ich das noch hätte ändern können, war, wie so vieles in meinem Leben, einfach verstrichen. Jetzt damit anzufangen über meinen Haarschnitt, meine Garderobe, meine Schuhe nachzudenken, das schaffte ich nicht. Eigentlich wollte ich auch nicht über Margo nachdenken. Dieses Treffen. Ihr Anliegen hatte ich noch nicht erfahren. Wir tranken Kaffee. Margo betrachtete die vorübergehenden Leute. Sie sah dabei aus, wie eine Katze. Als könnte sie jederzeit zuschlagen. Was könnte sie mir noch nehmen? Meinen kleinen schüchternen Mann – der sich auch nicht viel aus Kleidung gemacht hatte, bis er sie traf, auch nicht aus Sex, dachte ich immer, der gehörte jetzt ihr.

Mir gehörte der kleine Hautflügler hier vor mir. Dessen Kauwerkzeuge und außergewöhnliche Färbung mich beschäftigten. Ich arbeitete an der sogenannten Dark Taxa. Unter Norbert, dem Leiter unserer Abteilung waren wir seit Jahren damit beschäftigt die Vielzahl an unbekannten Insekten zu bestimmen und zu katalogisieren. Ein Wettlauf gegen die Zeit, weil wir nicht so schnell im Auffinden und Bestimmen sind, wie die Insekten aussterben. Gerade Wespen, die 80 Prozent der Insekten ausmachen, sind meist parasitär. Das macht sie besonders anfällig für Veränderungen im Ökosystem. Wenn ihr Wirtinsekt ausstirbt, haben sie keine Lebensgrundlage mehr. Margo selbst begeisterte sich für Grabwespen nur insofern, als dass sie ihre Gewohnheiten nachahmte. Norbert wurde lebend gehalten, vorerst, und langsam ausgesaugt. Er fuhr jetzt SUV, ein Urlaub in Miami war geplant, Margo trug gern Pelz und teure Handtaschen. Sie machte immer noch keine Anstalten, mit mir zu reden. Seit einer halben Stunde saßen wir schon in diesem Café. Ob ich die kleine Lupe aus meiner Jacke holen könnte, ohne dass sie es merkte? Worin könnte ich das Insekt fangen? Von dem Rauch betäubt, stolperte die Wespe von dem Rand der Tasse, auf die Tischplatte. Gleich, ich könnte sie einfach sehr vorsichtig mit einem Tempo Tuch aufnehmen und einpacken. Im Labor dann nadeln.

„Inga!“ Sie lächelte mit milchweißen Zähnen. Mühsam riss ich mich von der Wespe los. Eigentlich war ich mir sicher, dass ich hier einen Holotypus vor mir hatte.

„Bis jetzt war ich wirklich großzügig. Es geht mir gut.“ Sie lächelte mit geschlossenen Lippen. „Als Siegerin, kleidet mich ein gewisser Langmut gegenüber meiner Vorgängerin.“ Erwähnte ich schon, dass Margo Journalistin ist? Sie interviewte Norbert für einen Artikel zu Biodiversität. Klug. Gebildet und dann noch die Sache mit dem Auftreten und dem Körper. Natürlich wollte er sie. Was wollte sie von ihm? Sie hat es wohl genossen, ihn mir wegzunehmen. Für mich hatte sich weniger geändert, als sie glaubte. Wir sahen uns jeden Tag bei der Arbeit und ich wohnte in einer kleineren Wohnung. Insgeheim genoss ich die Zeit für mich allein am Abend sogar ein wenig. Neulich musste er lachen, als ich beinahe das Formaldehyd umstieß. Wir hatten uns zum ersten Mal, ein wenig überhastet, über einer Flasche Formaldehyd geküsst. Er erzählte die Geschichte, ein bisschen ausgeschmückt, seitdem jedem. Behauptete, dass er mit diesem Geruch immer die frische Liebe in diesem Moment verbinden wird. Was verband ihn wohl mit Margo? Ich wollte nur noch meine Wespe schnappen und gehen. Nachdenklich nickte ich, als wäre ich ihrer Meinung: Natürlich siegte sie großzügig. Wir waren Staub unter ihren Schuhen. Ich suchte in meiner Tasche nach einem Tuch.

Sie beugte sich über den Tisch, fixierte mich, nadelte mich mit ihren Augen fest, als wäre ich ein Insekt.
„Damit ist jetzt Schluss. Du wirst dir eine neue Arbeitsstelle suchen. Es reicht mir. Du bist geschieden. Es ist ganz und gar unangemessen, dass ihr noch zusammenarbeitet. Such dir was, am besten in einer anderen Stadt.

Ehe ich überhaupt reagieren konnte, nahm sie ihr Wasserglas, stellte es auf der Wespe ab. Sah mir weiter in die Augen, lehnte sich auf das Glas und drehte es ein wenig hin und her.

2
Die Wespe
Cornelia Brandt
„Summ, Summ! Bumm!“ die Wespe ist hartnäckig. Wieder wirft sie sich gegen das Küchenfenster. Die Scheibe bebt. „Was bildest du dir ein, mich hier festzuhalten? Lass mich raus!“
Wie kam sie überhaupt herein? Die Fenster waren geschlossen.

Ich versuche sie zu beruhigen. Mache „psch, psch“. Aber die Kommunikation ist einseitig. Es kommt keine Reaktion. Hören kann sie, das habe ich nachgelesen. Aber vielleicht will sie nicht.
Ich klettere auf die Küchenleiter und öffne die oberen Fenster.

„Ich habe das Oberlicht für dich geöffnet. Wenn du raus willst, bitteschön. Ich kann nicht das ganze Fensterbrett für dich abräumen!“ Keine Antwort.
„Summ Summ! Bumm!“ gegen das geschlossene Fenster.
„Wenn du dich weiter so dumm stellst, muss ich dich fangen und raus setzen, besser verschwindest du selbst.“
Ihre großen Facettenaugen in der schwarz-gelben Kriegsbemalung fokussieren mich. Die Fühler aufgestellt. Die Flügel surren.
Penthesilea, die Amazonenkönigin. Auf dem Kriegspfad. Gegen mich. Aber ich bin kein Achill. Will sie nicht töten.

„Hast wohl Angst vor mir? Dass ich dich steche, mit meiner Lanze? Dann schwillst du an, wie ein Ballon!“
Wie sie mit mir spricht!

„Du fliegender Teufel, verschwinde“ denke ich, aber ich traue mich nicht, es laut auszusprechen. Dabei könnte ich mich doch wehren. Ich könnte …. hmm, nein, doch nicht.
Penthesilea wendet sich von mir ab, nimmt einen neuen Anlauf. Summ, Summ! Bumm!
Ich verlasse die Küche und schließe die Tür. Soll sie doch machen, was sie will! Aus den Augen aus dem Sinn. Mir doch egal.

Ich hole Luft, muss zurück in die Küche, die Gäste kommen bald.
Nichts zu sehen. Ich atme auf. Endlich befreit.
Den Basilikum hole ich vom Fensterbrett ….
Summ, Summ! Bumm!

„Warum hältst du mich hier fest? Ich bin die Königin. Muss zurück zum Nest. Höre schon meine Larven rufen.“

Ich will ihr helfen, sie mit der Hand zur Öffnung schieben.
Die Wespenkönigin stürmt auf mich zu, umkreist meinen Kopf. Das Summen wird zur Kampfansage.
Sie fliegt mit ihrer Lanze einen Angriff. Trompetenschall. Ich schreie auf, greife zum Geschirrtuch, mein Schild, schlage nach ihr. Keine Treffer auf beiden Seiten.

Zur zweiten Runde, ihre schwarzen Augen funkeln gefährlich. Sie kommt mir nahe, im letzten Moment wehre ich sie ab. Trompetenschall. Letzte Runde.

Ich schwitze, winke nur noch matt mit dem Geschirrtuch. Das Ende.
Sie sticht zu. Der Einstich schwillt an. „Verdammt“, ich erschlage sie, Notwehr. Mein Herz rast.
Die Notaufnahme in der Charité ist überfüllt.