RÜCKBLICK
[bio'nd] Material & Kleidung
Neue, biobasierte Textilien und Materialien bilden vermehrt die Grundlage für alltägliche Gebrauchs- und Konsumgüter. Insofern bieten diese Chancen, erzeugen aber auch neue Herausforderungen. Die Perspektive auf innovative Textilien und Materialien sensibilisiert nicht nur die Wahrnehmung für gegenwärtige Weisen der Produktion und des Konsums von Produkten, sondern eröffnet zugleich einen neuen Blick auf die Art, wie Menschen in Zukunft produzieren und konsumieren könnten.
Digitale Galerie
Die folgend dargestellten Arbeiten von Künstler*innen und Designer*innen verdeutlichen mögliche bioökonomische Zukünfte, die in Experimenten bereits erkundet werden. Als experimentelle Suchbewegungen sind diese im Sinne erster Annäherungen an mögliche Zukünfte zu verstehen, in denen das Wirtschaften nach dem Prinzip einer nachhaltigen Bioökonomie verwirklicht werden könnte, die sozio-kulturelle wie ökologische Fragen zugleich adressiert. In Bild und Text stellen Studierende verschiedener Hochschulen folgend ihre Arbeiten vor.

1
Jannis Kempkens
Kunsthochschule Weißensee Berlin

Biologisch abbaubare Materialien

Material: Kaffeesatz, Orangenschalen, Kartoffelschalen, gekochte Teeblätter, Chitin, Weizenkleie;
Jahr: 2019 (Beyond Plastic), 2018 (Plasticula)


www.jannis.world
www.plasticula.com
www.beyondplastic.world
www.circology.org

Fotos © Jannis Kempkens

Inzwischen wissen wir, dass Plastik überall ist. Sogar dort, wo wir es lieber nicht haben wollen: Im Wasser, im Boden, in Tieren und Kindern. Daran möchte ich etwas ändern. Deshalb konzentrieren sich alle meine Projekte auf biologische Abbaubarkeit. Damit alles, was wir zurücklassen verschwindet und wieder in den natürlichen Kreislauf zurückkehrt.

Bei „Beyond Plastic“ stellen wir deshalb Alternativen zu Einweg-Kunststoffprodukten aus Lebensmittelabfällen wie Kaffeesatz, Orangenschalen, Kartoffelschalen oder gekochten Teeblättern her. Wir entwerfen Maschinen, Techniken und Systeme, die es Menschen ermöglichen, wo auch immer sie sich befinden, auf einfache Weise ihre eigene Produktionsstätte für biologisch abbaubare Produkte aufzubauen und stellen alle notwendigen Ressourcen „open source“ kostenlos online zur Verfügung.

Für „Plasticula“ arbeite ich mit einem stetig wachsenden Team aus Insekten daran, Kunststoff in ein neues Material umzuwandeln. Wir nutzen die Fähigkeit von Mehlwürmern, den Larven des Mehlkäfers, Styropor zu verdauen und kompostieren das eigentlich nicht abbaubare Material, während wir gleichzeitig ihre Überreste (aka. die toten Käfer) verwenden, um ein neues Material herzustellen: Chitin. Dieses ist eine klare Folie, die anstelle von Kunststoffverpackungen verwendet werden kann und biologisch abbaubar ist.

Jannis Kempkens

Das Projekt „Plasticula“ von Jannis Kempkens ist im Rahmen des greenlab - Labor für Nachhaltige Designstrategien der Weißensee Kunsthochschule Berlin entstanden. Das Projekt „Beyond Plastic“ ist vom greenlab unterstützt worden.

http://greenlab.kunsthochschule-berlin.de



2
Esther Kaya Stögerer
und Jannis Kempkens
Kunsthochschule Weißensee Berlin

Black Liquor – Potentiale der Schwarzlauge
Material: Lignin, Sägemehl, Holzspäne, Holzfasern, recycelte Cellulose, Kaffeesatz;
Jahr: 2020


www.raumprobe.com


Fotos © Esther Kaya Stögerer & Jannis Kempkens
Die Schwarzlauge ist ein weitestgehend unterschätztes Material. In Deutschland werden 98% (= 50 Millionen Tonnen pro Jahr) verbrannt. Dabei enthält das Nebenprodukt der Papierindustrie ein vielversprechendes Biopolymer: Lignin. Als zweithäufigstes Polymer der Erde könnte es eine wichtige Rolle in der Entwicklung weg von erdölbasierten und hin zu biobasierten Stoffen spielen. In BLACK LIQUOR haben wir zusammen mit dem Holzforschungsinstitut Fraunhofer WKI neue Ansätze entwickelt, wie das Polymer in Zukunft mehr Anwendung finden kann. Die entwickelten Materialien sind in Herstellung und Verwendung harmlos und basieren auf nachwachsenden Rohstoffen und industriellen Nebenprodukten und tragen so dazu bei, bisherige Abfallströme in neue Materialkreisläufe zu überführen und CO₂-Emissionen zu verhindern. So ist eine Reihe an Materialeigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten entstanden: Von festen Plattenwerkstoffen für den Möbelbau zu flexiblen Lederalternativen für die Modeindustrie.


Black Liquor wendet sich an vier Zielgruppen: Endverbraucher*innen, Produkthersteller*innen, Materialforscher*innen und Designer*innen. Die Entwicklung einer Materialbibliothek schafft interessierten Forscher*innen und Designer*innen Zugang zu unseren Experimenten und Ergebnissen. Sie besteht aus einem umfangreichen Archiv und einem Katalog. So wollen wir die Möglichkeit geben, unsere Ergebnisse für zukünftige Materialentwicklungen auf Basis von Lignin zu nutzen und auf unserer Forschung aufzubauen.
Esther Kaya Stögerer & Jannis Kempkens

Das Projekt „Black Liquor – Potentiale der Schwarzlauge" von Esther Kaya Stögerer und Jannis Kempkens ist im Rahmen des greenlab - Labor für Nachhaltige Designstrategien der Weißensee Kunsthochschule Berlin entstanden.

http://greenlab.kunsthochschule-berlin.de

3
mujō (Malu Lücking, Juni Sun Neyenhuys, Annekathrin Grüneberg)
Kunsthochschule Weißensee Berlin

Anicca - vergängliche Kunststoffmaterialien
Material: Alginat (Braunalge);
Jahr: seit 2018


anicca.pb.design
mujolab.com (coming soon)

Kooperationspartner (TU Berlin, Polymerphysik): Prof. Dr. Auhl, Andreas Salomon, Konstanze Schäfer

Fotos © mujō
Ist die Langlebigkeit von Materialien zugleich wertvoll? Zeugt deren Unzerstörbarkeit von Qualität? Bedeutet Materialkonsum zwangsläufig, Spuren hinterlassen zu müssen? Das Projekt „Annica“ widmet sich der Frage, was bleibt, nachdem wir unsere Telefone durch neuere Modelle ersetzt oder unsere Kleider durch die neusten Trends eingetauscht haben. Synthetisch erzeugte Werkstoffe wie Polyester hinterlassen Spuren und somit Probleme, nicht zuletzt wegen ihrer fast unbegrenzten Lebensdauer. In dem Moment, wenn die Lebensdauer des Materials die Nutzungsdauer des Produktes überschreitet, entstehen materielle Überreste – anders ausgedrückt Müll.

Regelmäßiges Konsumieren ist seit der industriellen Revolution Teil unseres westlichen Lebensstils geworden und es ist schwer vorstellbar, dass sich viele Menschen in den nächsten Jahren auf einen radikalen Wandel der Warenproduktion und des Kaufverhaltens einlassen werden. Wenn also die Nutzungsdauer der Produkte nicht verlängert werden kann, weil Konsumbedürfnisse unablässig bestehen, so könnte versucht werden, die Lebensdauer von Materialien zu verkürzen.

Das Projekt „Anicca“ beschäftigt sich in theoretischen und praktischen Teilen mit den positiven Eigenschaften materieller Unbeständigkeit. Dies geschieht mittels einer interdisziplinären Auseinandersetzung in Forschung und Design mit dem biologischen Rohmaterial Alginat, das aus der Braunalge gewonnen wird. Die biologische Abbaubarkeit und natürliche Kreislauffähigkeit dieses neuen Materials stehen im Fokus der Forschung. Der Designprozess experimentiert mit seinen spezifischen Einsatzmöglichkeiten auf der Grundlage unterschiedlicher Verarbeitungsmethoden.
Malu Lücking, Juni Sun Neyenhuys, Annekathrin Grüneberg

Das Projekt „Anicca - vergängliche Kunststoffmaterialien" von Malu Lücking, Juni Sun Neyenhuys, Annekathrin Grüneberg ist vom greenlab - Labor für Nachhaltige Designstrategien der Weißensee Kunsthochschule Berlin unterstützt worden.

http://greenlab.kunsthochschule-berlin.de



4
Youyang Song
Kunsthochschule Weißensee Berlin

Neue Materialien aus Bioabfall
Material: Bananen- und Orangenschalen, Sojamilch; Jahr: 2018

youyangsong.com
Cooking New Materials (Video)

Fotos © Youyang Song
Das „Kochen neuer Materialien“ ist eine Technik, die darauf abzielt, Bioabfälle zu einem weichen, aber dennoch robusten lederähnlichen Material zu verarbeiten. Den scheinbar nutzlosen Lebensmittelabfällen wird so ein zweites Leben gegeben. Bananen- und Orangenschalen oder Sojamilch werden mit einem natürlichen Bindemittel als Substrat kombiniert. Der resultierende Verbundstoff ist vollständig biologisch abbaubar und kann nach dem erneuten Kochen leicht wiederverwendet werden. So entsteht ein zu 100% biologisch abbaubares, abfallfreies Naturprodukt. Darüber hinaus bietet das Bio-Material eine ähnliche Zähigkeit, Haltbarkeit und Wasserbeständigkeit wie normales Ledermaterial. Insbesondere bewahrt es den fruchtigen Geruch, die raffinierte Textur und fühlt sich bei Berührung sehr gut an.

Der Schwerpunkt liegt nicht nur auf der Praktikabilität, sondern auch auf der Ästhetik und Beschaffenheit umweltfreundlicher Materialien. Sie dienen nicht nur der Erhaltung der Umwelt, sondern helfen vielmehr bei der Wiederherstellung der Umwelt. Das Material bietet neue Einsichten und Ausblicke für den modernen Lebensstil derjenigen, die die Produkte, die sie täglich verwenden, in vollem Umfang genießen wollen, und zwar im respektvollen Umgang mit der Umwelt.

Youyang Song

Das Projekt „Cooking New Materials“ von Youyang Song in Kooperation mit Design Farm Berlin und Re-FREAM ist im Rahmen des greenlab der Weißensee Kunsthochschule Berlin entstanden.

5
Kira Zander
Lette Verein Berlin

Momentum
Material: Schilfgewächs, Bio-Baumwoll-Gaze, upgecycelte Wolle (mit verschiedenen Anteilen von Schurwolle, Kaschmir und Mohair);
Jahr: 2020


www.notjustalabel.com/kira-zander
www.instagram.com/zander_kira

Modelle: Lisa Herkenberg, David Ketels

Fotos © Kira Zander
Die Kollektion „Momentum“ thematisiert den bewussten und nachhaltigen Umgang mit Mode und Natur. Sie verschreibt sich dem Innehalten und Wahrnehmen – der einzigartigen und vielschichtigen Natur, die so wertvoll für jeden einzelnen Menschen ist, trotzdem sie von diesen im Alltag so leicht verdrängt erscheint. „Momentum“ fängt diesen Augenblick des Inneren und der Natur ein und spiegelt seine Vielfältigkeit und Empfindsamkeit wider. Der Fokus liegt in der Auseinandersetzung mit Schilfgewächsen, die an fließenden oder stehenden Gewässern wachsen und einen Übergang von Land zu Wasser bilden. Schilfgewächs versinnbildlicht im Rahmen der Kollektion ebenso einen Übergang, in dessen Dazwischen die Wahrnehmung und Reflektion des Menschen formend verweilen.

Das Kollektionsdesign orientiert sich in ihrer mehrschichtigen Struktur an der Vielschichtigkeit der Natur und konturiert so Zwischenräume, die zum Innehalten einladen. Die untere Schicht besteht aus zarter Bio-Baumwoll-Gaze, die sich in unregelmäßige, organische Falten legt und ein bewegtes Spiel gibt, sobald leichter Wind auf sie trifft. Für die beiden drüber liegenden Schichten wurden acht Kilo alte Wollpullover, die im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Berliner Textilhafen bereitgestellt wurden, zu neuen textilen Flächen verarbeitet. Weitere upgecycelte Wolle hat in Form von dreidimensionalen Gebilden, die gehäkelt oder geknüpft sind, ihre Entsprechung gefunden. Abgerundet wird der Look durch Hüte, die aus altem China-Schilf und Wolle gefertigt sind.
Kira Zander

6
Anna-Luiese Sinning
UdK Berlin

re - black friday meets friday for future

Material: Scoby (bakterielle Cellulose);
Jahr: 2019


anna-luiesesinning.wixsite.com
www.instagram.com/a.lu.si/

Fotos © Anna-Luiese Sinning (design); Paulina Hildesheim (photo/editorial); Christine Sattler (photo/material studies)
Die Arbeit >re< beschäftigt sich mit der Rolle des Designs zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und ästhetischer Ökonomie. Sie basiert auf der Annahme, dass Konsumverzicht in einer „Überfluss-Gesellschaft“ als eine unrealistische Lösung erscheint – insbesondere, wenn bedacht wird, dass eine Konsumreduktion die tatsächlichen Probleme schädlicher Produkte nicht kompensiert. Ein Ansatz wird gewählt, der im Hinblick auf die Kategorien Materialherstellung, Verarbeitung sowie Recycling- und Entsorgungsprozesse nachhaltige Kriterien in den Designprozess einbezieht. Die gewählten Kriterien unterstützen eine positive Veränderung der Folgen des Endprodukts, ohne jedoch eine Reduktion oder Aufgabe des Designs zu befördern. Durch eine Reihe von Materialexperimenten wurde die Verwendung eines natürlichen Materials namens Scoby (symbiotic culture of bacteria and yeast; dt.: symbiotische Kultur von Bakterien und Hefe) definiert. Besser bekannt ist Scoby als ein Gesundheitsgetränk namens „Kombucha“. Als Textilprodukt hat es einzigartige Eigenschaften - wie die mobile Kultivierung, die dauerhafte Vermehrung oder seine transparente 3D-Faserstruktur.

Das Ergebnis ist ein veränderter Herstellungsprozess. Der Prozess beginnt mit einem selbstständigen Wachstum des Materials und endet in einem wasserbasierten Färbe- und Klebeverfahren des entwickelten Allover-Ornaments. Die entwickelten Kleidungsstücke und Accessoires zelebrieren das Ornament als Symbol des Begehrens und der Selbstdarstellung und beeindrucken durch ihre „Eco-Balance“ mittels ihrer Kompostier- und Recyclingfähigkeit. Das Projekt veranschaulicht eine positive Zukunftsvision der Modeindustrie.
Anna-Luiese Sinning

7
Yihuan Yao
Kunsthochschule Weißensee Berlin

Deliphane

Material: Agar-Agar, Gelatine, Glycerin;
Jahr: 2019


yaoyihuan.com
greenlab.kunsthochschule-berlin.de
Deliphane (Video)

Fotos © Yihuan Yao
Das Projekt „Deliphane“ erforscht nachwachsende Rohstoffe und sucht nach einem Ersatz für kurzlebige Verpackungen. Der Fokus liegt dabei auf natürlichen Geliermitteln, aus denen feine, transparente Folien und Papiere hergestellt werden. Beides ist biologisch abbaubar, essbar, wasserlöslich und kann Kunststoffverpackungen ersetzen - etwa bei Knabberwaren, Süßigkeiten oder To-Go-Produkten.

Der Hauptbestandteil des entwickelten Materials „Deliphane“ ist eine Kombination von Agar-Agar und Gelatine. Abhängig von der Zusammensetzung, dem Herstellungsverfahren und der Beimischung von Additiven ändern sich Formbarkeit, Härte, Elastizität, Bruchfestigkeit und Wärmeformbeständigkeit. Dünn, transparent, farbig, schweißbar, faltbar: „Deliphane“ lässt sich vielseitig einsetzen. Gleichzeitig verführt es durch seine Materialität.

Yihuan Yao

Das Projekt ist im Rahmen des Projektes „Circular City: Mapping Berlin´s Material Streams“ am greenlab der Weißensee Kunsthochschule Berlin entstanden.

8
Elena Sofia Stranges
Kunsthochschule Weißensee Berlin

KRÄUTERSTOFF - Ein zweites Leben für Kleidung durch Pflanzenfarben
Material: Wildkräuter (urbane Pflanzen), Gemüsereste, gespendete (oder Second Hand) weiße Textilien/Kleidungsstücke;
Jahr: 2019


cargocollective.com/sofel

Fotos © Elena Sofia Stranges;
Stillleben-Fotos © Elena Sofia Stranges & Inga Masche

Das Projekt „Kräuterstoff“ geht der Frage nach, ob es möglich ist, soziale Strukturen durch das gemeinschaftliche Aufwerten von Alttextilien zu stärken. Nachhaltiges Design ist im gegenwärtigen Produktions- und Konsumsystem eingebettet in eine gewinnorientierte Verwertungslogik – und befördert dieses. Die Reihe der „Kräuterstoff“-Workshops, die im Juni 2019 in Zusammenarbeit mit der Berliner Stadtmission organisiert wurde, erkundete dem gegenüber Perspektiven einer kritischen Nachhaltigkeit und förderte die Netzwerkbildung. Gemeinsam mit interessierten Stadtbewohner*innen wurden Pflanzen gesammelt, Textilien sortiert und gefärbt. Die zuvor gespendete Kleidung erhielt durch das Färben mit Wildkräutern und Gemüseresten einen neuen Wert. Entstanden sind neuartig farbliche Textilien und ungewöhnliche Färbemittel aus übersehenen Pflanzen von öffentlichen Berliner Grünflächen. Ziel der Berliner Stadtmission ist die Realisierung mehrerer Aktionen, um Textilien vor wertverringernder Verarbeitung zu retten und gleichzeitig Künstler*innen und Designer*innen einzuladen, mit diesen kreativ umzugehen. Die „Kräuterstoff“-Reihe macht den Anfang.

Elena Sofia Stranges

Das Projekt „Kräuterstoff“ von Elena Sofia Stranges in Kooperation mit „Textilhafen - Berliner Stadtmission“ ist im Rahmen des greenlab Projekts „8.0: Mapping Berlin's Material Streams“ an der Weißensee Kunsthochschule Berlin entstanden.

9
Paula Keilholz
UdK Berlin

Venus0

Material: stärkebasierter wasserlöslicher Pressvlies; Jahr: 2017

linkzupaula.com

Fotos © Kai Oh;
Modelle: Talin Seigmann, Jasmin Halama
Die Arbeit „Venus0“ umfasst zwei Abendkleider, die sich der „Festmode“ zuordnen lassen. Festmode besteht häufig aus hochwertigen Materialien und ist aufwendig verarbeitet. Doch trotz ihres vergleichbar hohen Werts wird Kleidung für besondere Anlässe oft wie ein Einmalprodukt gehandhabt. Venus0 ist aus einem wasserlöslichen Material gefertigt, das herkömmlich in der Chirurgie verwendet wird. Der stärkebasierte Pressvlies ist komplett abbaubar. Die Materialwahl für „Venus0“ soll sichtbar machen, wie Abendmode konträr zu ihrer Hochwertigkeit als Wegwerfartikel behandelt wird.

Die Idee besteht bei „Venus0“ darin, dass zunächst problematisch wirkende Konsumverhalten nicht zu ändern, sondern innovativ mit dem Herstellungsmaterial umzugehen. Das Kleid wird durch die Materialwahl zu einem ökologisch vertretbaren Wegwerfartikel und seine Zersetzung wird Teil des zeremoniellen, einmaligen Tragens des Kleides. In Bezug auf den Teil der Bekleidungsbranche, die sich mit nachhaltigen Materialien und Verarbeitungsprozessen beschäftigt, wird die Annahme getroffen, dass die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit des Themas der Nachhaltigkeit das Spielerische und Lustvolle in der Mode eindämmen. Dies liegt oft an praktischen Gründen wie der Priorisierung der Materialinnovation bei gleichzeitiger Knappheit der Mittel. Es gibt aber auch Produkte, deren Design vorrangig die Nachhaltigkeit des Produktes kommuniziert, was gestalterische Möglichkeiten ungenutzt lässt und somit auch weniger Begehren bei Konsumenten auslösen kann.

Vergänglichkeit und das ständig Neue stellen den Kern der Mode dar und machen einen großen Teil ihres Reizes aus. Auch unser Luxusbegriff ist sehr mit dem Verschwenderischen und dem Aufwändigen verbunden. Durch die Materialwahl bei „Venus0“ wird dieses Problem in der Modeindustrie als eine Stärke perspektiviert und die Lust an Neuem bewahrt. Durch die Zerbrechlichkeit des gewählten Stoffs wird die Lebensdauer des Kleides kürzer, wodurch dieses noch zu einem Unikat und damit auch mehr zu einem Luxusgut wird. Das Material, das auf den ersten Blick zur Herstellung von Kleidung vollkommen ungeeignet scheint, wird passend, wenn bedacht wird, wie wenig die meisten Kleidungsstücke eigentlich getragen werden.
Paula Keilholz
Hack Your Fashion
Wenn ihr noch mehr über die Möglichkeiten der Bioökonomie im Bereich „Kleidung & Textilien“ erfahren wollt, so schaut gerne auch bei unserem Partnerprojekt „Hack Your Fashion“ vorbei. Dieses wird im Rahmen des Wissenschaftsjahr 2020|2021 organisiert von der HTW – Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Alle Veranstaltungsmaterialien findet ihr auf der Webseite des Museums für Naturkunde Berlin.